Martin Hillebrecht

Theorien des motorischen Lernens und ihre Anwendung in der Praxis

1. Einleitung

Perfekt ausgeführte Bewegungen wirken auf den externen Betrachter oft als runde, rhythmische und einen eher geringen Kraftaufwand erfordernde Aktionen. Der Beobachter vergißt dabei schnell, daß hinter dieser Perfektion ein oft jahrelanger Lernprozeß steckt. Eine zentrale Frage in diesem Zusammenhang ist die nach der Optimierung dieses Prozesses.

Diese Frage und die daraus folgenden Fragen sind der wesentliche Gegenstand der Betrachtung, wenn man sich mit dem motorischen Lernen beschäftigt.

1. Welche Prozesse laufen beim Lerner ab?

2. Wie kann ein Lernprozeß optimiert werden, damit am Ende eine möglichst hohe Ausführungsqualität erreicht wird?

3. Wie müssen dazu die Lernbedingungen gestaltet werden?

4. Welche Hilfen kann der Lehrende geben?

5. Wie ist der Lernende am Lernprozeß zu beteiligen?

Diese sicherlich unvollständige Liste von Fragen, die einen Lehr-/Lernprozeß und dessen Ergebnis betreffen, soll eine vertiefte theoretische Beschäftigung mit dem Problem des motorischen Lernens fordern und einleiten. Fundierte und widerspruchsfreie Theorien zum motorischen Lernen liegen trotz einer vermehrten Forschungsaktivität in diesem Bereich bis heute nicht vor (vergl. WOLLNY 1993). Trotzdem sollen im folgenden verschiedene Theorien des motorischen Lernens exemplarisch betrachtet werden und auf ihre Aussagen bezüglich der Gestaltung von Übungspraxis untersucht werden.

2. Aktuelle Theorien in der Motorikforschung

In der Motorikforschung sind in den letzten Jahren verschiedene Theorien entwickelt worden, die die Produktion und Kontrolle von Bewegungen beschreiben und erklären. Für eine systematische Ordnung dieser Theorien wird hier zwischen den sogenannten Motor Approaches und den Action Approaches unterschieden (vergl. MEIJER/ ROTH 1988).

Motor Approaches beruhen in der Regel auf einem informationstheoretischen Ansatz und sind dadurch gekennzeichnet, daß sie zentral gespeicherte Bewegungsrepräsentationen (Programme, Engramme, Bewegungspläne, Schemata, Spuren) postulieren, die im Gedächtnis gespeichert sind und dort abgerufen werden können (z.B. Open-Loop-Theorie, KEELE 1973; Überblick in SCHMIDT 1988). In neueren Modellen können diese Programme darüber hinaus mit Parametern versehen werden, um eine situationsadäquate Anpassung des Bewegungsvollzuges zu ermöglichen (vergl. Theorie der generalisieren motorischen Programme und Schema-Theorie, SCHMIDT 1975, 1988; Motorikschema, MUNZERT 1989). Allein aus der Terminologie, die diese Theorien verwenden, wird ein deutlicher Bezug zur Arbeitsweise eines Computers deutlich. Der Algorithmus stellt die verallgemeinerte Beschreibung eines Arbeitsablaufes dar. Wird er um entsprechende Parameter ergänzt, kann ein explizites Programm daraus werden. Die Computer-Analogie ist in derartigen Theorien also nicht zu übersehen. Wegen ihrer aktuellen Bedeutung werde ich mich im weiteren Verlauf nur mit der GMP- und Schematheorie nach SCHMIDT beschäftigen.

Kontrovers zu den eben kurz geschilderten Programmtheorien werden die sogenannten Action-Approaches diskutiert (z.B. TURVEY 1977). Sie lehnen eine programmorientierte Kontrolle von Bewegungen ab. Nach Ansicht der Aktionstheoretiker werden Muskelkontraktionen nicht durch höhere Zentren des ZNS kontrolliert, sondern durch "heterarchische, selbstorganisierte, aufgabenspezifische, invariante Kopplungen synergistisch arbeitender Muskeln" (WOLLNY 1993, 16). Diese auch als koordinative Strukturen bezeichneten Einheiten realisieren die Ausführung der Bewegung als autonome neuronale Kontrollmechanismen (vergl. TURVEY 1977). Insbesondere der Mensch-Umwelt-Beziehung wird große Bedeutung für die Regulation von Bewegung beigemessen. Die menschliche Bewegungshandlung wird als ganzheitliche, aktive und zielgerichtete Auseinandersetzung mit der Umwelt verstanden.

Selbstorganisationsprozesse spielen in diesen Ansätzen eine wichtige Rolle bei der Produktion von Bewegungen. Zur Beschreibung dieser Prozesse werden in den letzten Jahren auch Theorien aus anderen Wissenschaftsbereichen übernommen. Exemplarisch sei hier die Synergetik genannt, die das Entstehen von Ordnung in komplexen Systemen beschreibt (HAKEN 1990). Bezüge zur Produktion von rhythmischen Bewegung finden sich bei z.B. bei KELSO/SCHÖNER (1988); LAMES zeigt die Anwendung auf sportliche Bewegungen (1992).

Aus dem Bereich der Action Approaches soll im weiteren Verlauf beispielhaft die ökologische Wahrnehmungstheorie nach GIBSON (1950, 1979) und deren Aussagen für die Sportpraxis diskutiert werden.

2.1. Die GMP- und Schema-Theorie

2.1.1 Das Programmkonzept

Die Theorie der Generalisierten Motorischen Programme von SCHMIDT (1975, 1982, 1988; vergl. auch ROTH 1990a und WIEMEYER 1992a) geht von der Grundannahme aus, daß durch die Kombination eines Programmes, das bestimmte invariante Bestandteile enthält, mit variablen Parametern eine Stabilität und Variabilität in der Bewegungsausführung zu erreichen ist. Die Trennung von Programm und Parametern soll aber nicht nur die Erklärung von Variabilität und Stabilität von motorischem Verhalten ermöglichen, sondern auch zwei weitere Probleme lösen:

1. Der Erwerb von neuen Programmen bzw. von sensorischen Sollwerten für neue Programme läßt sich mit den Vorgängertheorien (Open- und Closed-Loop-Theorie) nur schwer beschreiben (Lösung des sogenannten Neuigkeitsproblems).

2. Existiert für jedes spezifische Bewegungsmuster ein spezielles Programm, kann dies zu einem Speicherproblem führen. Zwar ist über die Gesamtspeicherkapazität des Gedächtnisses nur wenig bekannt, trotzdem läßt die Vielzahl der motorischen Verhaltensweisen vermuten, daß eine generalisierte Speicherung sinnvoller wäre. SCHMIDT (1975a) postuliert daher ein generalisiertes motorisches Programm, in das Parameter eingelesen werden können.

Das Programm besteht aus Komponenten, die eine fundamentale Bedeutung für die Bewegungsproduktion haben und invariant sind (vergl. SCHMIDT 1985). "Die motorischen Programme enthalten nur wenige feste Bestandteile, die zur Produktion der äußeren fertigkeitsspezifischen Strukturrelationen ausreichen. Eine kleine Zahl von internen Programminvarianten steuert also die externen, unaustauschbaren Bewegungselemente" (ROTH 1991a, 6). SCHMIDT vergleicht das Programm mit der Spur auf einer Schallplatte, die aber mit einer variablen Geschwindigkeit und Lautstärke abgespielt werden kann.

Parameter sind variabel und können im Krafteinsatz, in der Gesamtbewegungszeit oder in der Muskelauswahl gesehen werden. "Über ihre Spezifikationen werden die modifizierbaren nicht-strukturellen Ausführungsdetails (die sogenannten Bewegungsmerkmale) determiniert" (ROTH 1991a, 6).

"Die theoretische Grundlage und den Ausgangspunkt des GMP-Modells bildet die sogenannte Impuls-Timing Hypothese. (...) Neben der Impuls-Timing Sicht und auf ihr aufbauend gibt es eine zweite wesentliche Annahme, die der Theorie generalisierter motorischer Programme zugrunde liegt. Es ist dies die Gestaltkonstanz-Hypothese..." (ROTH 1989, 53).

Impuls-Timing- und Gestaltkonstanz-Hypothese

Das motorische Programm kann als eine Anzahl von Impulsen gesehen werden, die in einer bestimmten zeitlichen Folge und einer bestimmten Intensität an die Muskulatur ausgesendet werden. Die Abfolge der Impulse, ihr zeitliches Verhältnis und ihre Intensität zueinander stellen den invarianten Teil des Programmes dar (SCHMIDT 1988 nennt diese Zeit- und Kraftmerkmale Sequencing, Phasing und Relative Force, 266) (vergl. Abbildung 1).

Abb. 1 Beispiel eines Impuls-Timing-Musters

Die invarianten Elemente können nur in ihrer Gesamtheit und Proportionalität gedehnt oder gestaucht werden (Gestaltkonstanz-Hypothese). Phasing, Sequencing und Relative Force ändern sich dabei nicht. Ihre Verhältnisse zueinander bleiben konstant (vergl. Abbildung 2).

Abb. 2 Beispiel eines gestauchten Impuls-Timing-Musters aus Abbildung 1

2.1.2 Das Schema-Konzept

SCHMIDT (1975) versucht mit seiner Schema-Theorie, Lösungen für Probleme von Open- und Closed-Loop-Theorien zu finden. Er grenzt den Geltungsbereich auf diskrete Bewegungen mit einer Dauer von höchstens 5 Sekunden ein. Diskrete Bewegungen sind durch eine azyklische Struktur und einen eindeutigen Anfangs- und Endpunkt definiert (SCHMIDT 1975; WIEMEYER 1992b, 10).

Ein zentraler Begriff seiner Theorie ist das 'Schema'. Ein Schema ist bei SCHMIDT "das Charakteristikum einer Population von Objekten und besteht aus einem Satz von REGELN, die als Anweisungen für die Erzeugung eines Prototyps dieser Population (dem Konzept) dienen" (1975; zitiert nach KAUL/ZIMMERMANN 1990, 26). Durch die Bildung von Schemata kann nach SCHMIDT der Speicherraum von motorischen Programmen reduziert werden. Dabei ist von besonderer Bedeutung, daß eine ganze Bewegungsklasse durch ein generalisiertes motorisches Programm gesteuert wird und nur durch variable Bewegungsparameter unterschiedliche Bewegungsvollzüge ermöglicht werden. Eine Analogie dazu kann man in der Mathematik in dem Begriff der Funktion sehen. Die Sinusfunktion sin(x) z.B. liefert je nach übergebenem Parameter x ein anderes Ergebnis. Durch die Änderung des Parameters erhält man die unterschiedlichsten Ergebnisse, die immer nach dem gleichen Rechenverfahren ermittelt werden. Das Rechenverfahren kann somit als invariant bezeichnet werden.

Ein Beispiel aus dem Sport soll das Konzept der generalisierten Programme weiter verdeutlichen. Ein Tennisaufschlag kann mit großer oder kleiner Beschleunigung des Schlägerkopfes gespielt werden. Beide Bewegungen werden von einem generalisierten Bewegungsprogramm 'Tennisaufschlag' initiiert und kontrolliert. Ein Eingangsparameter dieses Programmes ist die Beschleunigung des Schlägerkopfes bzw. der notwendige Kraftaufwand. Je nachdem, ob der Parameter 'Beschleunigung des Schlägerkopfes' groß oder klein gewählt wird, ergibt sich eine große oder kleine Ballabfluggeschwindigkeit. Die Bewegung selbst zeigt letztlich die gleichen Strukturmerkmale bei schneller und langsamer Bewegungsausführung und kann daher auf ein generalisiertes Bewegungsprogramm zurückgeführt werden.

Den Prozeß nach Beendigung einer Bewegung stellt SCHMIDT wie folgt dar:

1. Das Individuum speichert die Ausgangsbedingungen der Bewegung ab.

2. Das Individuum speichert Parameter, die dem Hauptprogramm der Bewegung zugewiesen wurden.

3. Das Individuum speichert die extrinsischen Rückmeldungen.

4. Das Individuum speichert die sensorischen Konsequenzen der Bewegung, also die Informationen des intrinsischen Feedbacks (vergl. SCHMIDT 1982, 594).

Nach jeder weiteren Bewegung bildet der Lernende zwei schematische Beziehungen (Recall- und Recognition-Schema), die ihm zum einen die Kalkulation von Bewegungsparametern und zum anderen von sensorischen Konsequenzen vor weiteren Bewegungsvollzügen ermöglichen soll.

Abb. 3 Die Beziehung zwischen dem Bewegungsergebnis und den verwendeten Parametern => Recall-Schema (vergl. SCHMIDT 1988, 484)

Das Recall-Schema dient der Auswahl von geeigneten Parametern für ein angestrebtes Bewegungsergebnis. Man kann es als eine Regressionsgerade zwischen den Bewegungsergebnissen und den Parametern ansehen. Es ermöglicht die Kalkulation von Parametern. Ein Lernvorgang führt demnach zu einer präziseren Ausbildung der Regelgeraden und damit auch zu größeren und genaueren Erfahrungen mit der Parametereinstellung.

In ähnlicher Weise entsteht das "recognition schema" (SCHMIDT 1982, 596). Hier werden die Beziehungen zwischen den Ausgangsbedingungen, dem Bewegungsergebnis und den sensorischen Konsequenzen hergestellt. Mit dem Recognition-Schema ist es dem Individuum möglich, sensorische Konsequenzen schon vor der Bewegungsausführung zu kalkulieren und damit einen Sollwert für den späteren Vergleich festzulegen (vergl. Abbildung 4).

Abb. 4 Die Beziehung zwischen Bewegungsergebnis und sensorischen Konsequenzen unter verschiedenen Ausgangsbedingungen => Recognition-Schema (vergl. SCHMIDT 1988, 486)

Sind die Ausgangsbedingungen und das angestrebte Bewegungsergebnis bekannt, kann das Individuum mit Hilfe des Recognition-Schemas die erwarteten sensorischen Konsequenzen kalkulieren und erhält damit eine Möglichkeit zur Bewegungskontrolle. Eingehende intrinsische Informationen können mit den erwarteten sensorischen Konsequenzen verglichen und zur Bewegungskorrektur herangezogen werden. Bei langsamen Bewegungen kann dies schon während des Bewegungsvollzuges passieren, bei schnellen Bewegungen aber erst nach Beendigung der Bewegung.

Zusammenfassend lassen sich aus der Schema Theorie folgende Aussagen ableiten:

1. Schnelle Bewegungen werden durch das motorische Programm gesteuert. Das Feedback kann erst nach der Bewegung analysiert werden. Die Parameterauswahl vor Bewegungsbeginn durch das Recall-Schema ist von entscheidender Bedeutung.

2. Langsame Bewegungen sind feedbackgeregelt, wobei das Feedback zur Bewegungskorrektur während der Bewegung beitragen kann (Recall- und Recognition-Schema).

3. Durch die Variation der Bewegungsparameter bei generalisierten Bewegungsprogrammen entfällt der Zwang zur Speicherung von einer Vielzahl von motorischen Programmen. Es besteht keine 1:1-Beziehung zwischen Bewegung und Programm wie bei Open-Loop- und Closed-Loop-Theorien (Speicherproblem).

4. Das Neuigkeitsproblem bei bisher nicht beherrschten Bewegungen und der Transfer von schon beherrschtem Bewegungsverhalten auf neue Bewegungen ist mit der Schema-Theorie zu erklären. Neues Bewegungsverhalten kann durch Interpolation im Recall- und Recognition-Schema erzeugt werden.

5. Eine möglichst häufige Bereitstellung von KR-Informationen ist anzustreben, da sich dadurch die Ausbildung des Recall- und Recognition-Schemas beschleunigt (vergl. DAUGS 1991). Der Lernende erreicht eine verbesserte Eigenkorrekturfähigkeit.

6. Für die Ausbildung der Schemata ist besonders ein variables Üben innerhalb einer Bewegungsklasse anzustreben. Durch viele verschiedene Bewegungserfahrungen lassen sich genauere Relationen bilden, und eine Anpassung an zukünftig zu lernende Bewegungsformen fällt dem Lernenden leichter, da er auf ein Potential von Relationen zurückgreifen kann (vergl. auch den Überblicksartikel zur variability of practice Hypothese von VAN ROSSUM 1990; WULF 1988; vergl. Abbildung 5). Allerdings muß aus den Ergebnissen einiger Untersuchungen geschlossen werden, daß variables Üben im Kindes- und Jugendalter deutlich effektiver ist als bei Erwachsenen. Erwachsene scheinen schon über große Erfahrungen in der Parametervariation zu verfügen, so daß sich hier nur noch geringe Vorteile bei einem variabel gestalteten Übungsprozeß ergeben.

Abb. 5 Beispiel eines Recall-Schemas nach monotonem Üben einer sehr ähnlichen Parametereinstellung

Bezogen auf die Frage des variablen Übens muß aber noch eine weitere Differenzierung vorgenommen werden, da sich die unter 6. angegebene Empfehlung nur auf das Üben innerhalb einer Bewegungsklasse bezieht. Das motorische Lernen läßt sich nach ROTH (1990, 27) aber weiter in 3 Abschnitte untergliedern:

1. Den Neuerwerb von Bewegungen,

2. Das Optimieren von Bewegungen I (Variationslernen),

3. Das Optimieren von Bewegungen II (Präzisierung, Stabilisierung).

Im ersten Schritt ist der Aufbau eines motorischen Programms notwendig, daß durch die oben geschilderten invarianten Bestandteile charakterisiert ist. Im zweiten und dritten Schritt geht es aber um den Aufbau von Schemata, die einem speziellen motorischen Programm zugeordnet werden. Daraus folgt, daß Übungsvariabilität im Lernprozeß zum einen durch die Variation von Programmen oder durch die Variation von Parametern erzeugt werden kann. In allen drei Phasen ist Variation daher über die Programme und Parameter möglich.

Eine Analyse der vorliegenden Literatur zum Neulernen ergibt im allgemeinen eine Empfehlung zum eher monotonen Üben unter Reduktion des Schwierigkeitsgrades. Die Vertreter von variablen Positionen, die schon frühzeitig im Lernverlauf den Einsatz von programm- und parametervariablen Lernen fordern, können auf einige empirische Untersuchungen verweisen. So konnten HEUER/SCHMIDT (1988), MUNZERT (1989), WULF (1985) und verschiedene Untersuchungen zum Context-Interferenz-Effekt zeigen, daß programm- und parametervariables Lernen zumindest gleichwertige Lernergebnisse erbringt wie konstantes Üben.

Zum Bereich des Optimieren I (Trainieren von Bewegungsvariationen) setzt sich die allgemeine Meinung durch, daß variables Üben verwendet werden sollte. Insbesondere bezüglich des parametervariablen Übens existiert hier ein Konsens. Die Vorhersagen der Schema-Theorie scheinen sich beim Optimieren I zu bestätigen. Programmvariabilität setzt beim Optimieren voraus, daß ein Transfer von einer Bewegungsklasse auf eine andere möglich ist. ROTH formuliert dazu: "In der Sportpraxis finden sich besonders in der Anfängermethodik zum Teil optimistische Erwartungen hinsichtlich der Wirksamkeit von bewegungsabhängigen, exemplarischen Übungen. Die Trainingsformen zur Wasser-, Ball- oder Schneegewöhnung z.B. gründen zentral auf der Annahme, daß sich Fähigkeiten zur Geschwindigkeits-, Kraft- oder Richtungsdosierung in späteren Lernstadien technikübergreifend transferieren lassen" (1990, 29). Eine derartige generelle Transferhypothese läßt sich mit empirischen Untersuchungen allerdings nur in engen Grenzen zeigen (z.B. HOSSNER 1990; BUND 1994) und ist daher kritisch zu sehen.

Zum Optimieren II (Stabilisierung und Feinformung) wird in der Methodikliteratur eher ein programm- und parameterkonstantes Vorgehen befürwortet. "Feinformung und Stabilisierung auf der einen Seite und systematische Übungsvariabilität auf der anderen werden vielfach als logische Widersprüche bewertet und interpretiert" (ROTH 1990, 29). Lediglich Ansätze wie z.B. das Kontrastlernen im Skifahren zeigen erste Schritte in Richtung einer programmvariablen Gestaltung von Übungsbedingungen (vergl. auch HOTZ 1993). Empirische Untersuchungen zu diesem Bereich sind meiner Kenntnis nach eher selten.

Auch bezüglich der Gestaltung von externen Rückmeldungen macht die Schema-Theorie einige Aussagen, wie unter dem 5. Punkt oben angedeutet wurde. Ich werde hier nur kurz die Aussagen bezüglich der Rückmeldungshäufigkeit betrachten.

Aus der Schema-Theorie läßt sich ableiten, daß für eine optimale Entwicklung der Schemata externe Rückmeldungen von großer Bedeutung sind. Sie sollten nach jedem Versuch gegeben werden, damit der Lernende in einem regelnden Prozeß seine Schemata optimieren kann. Untersuchungsergebnisse von WULF/SCHMIDT/DEUBEL (1992), WINSTEIN (1988) und Ergebnisse eigener Untersuchungen (HILLEBRECHT 1994) zeigen, daß verringerte Frequenzen nicht immer zu negativen Effekten auf das Lernergebnis führen müssen. Zum Teil konnten sogar signifikant bessere Leistungen in Lerntests ermittelt werden. Verringerte Rückmeldungshäufigkeiten scheinen demnach beim Lernenden Prozesse auszulösen, die eine vertiefte Beschäftigung mit intrinsischen Informationen erzeugen. Diese vertiefte Beschäftigung mit den Eigenwahrnehmungen führt zu einer größeren Selbständigkeit des Lernenden bezüglich der Qualitätsbewertung seiner Bewegungen. Die Wertigkeit der externen Rückmeldungen nimmt ab. Für die Praxisanwendungen ist daher zu einer Reduktion der Rückmeldungsfrequenzen zu raten. Optimale Ergebnisse wurden im Bereich von 30-60% Frequenz ermittelt (vergl. DAUGS 1991).

Kritisch bleibt anzumerken, daß Fragen nach der Instanz, die ein GMP auswählt nicht von der GMP-Theorie beantwortet werden. Die Beschreibung bewegt sich daher eher auf einer unteren Ebene der Handlungsregulation.

Die referierten Untersuchungen zeigen, daß die Aussagen der Schema-Theorie zur Gestaltung von Übungsprozessen nicht immer empirisch belegt werden können, z.T. sogar gegensätzliche Ergebnisse bekannt sind. Eine kritiklose Übertragung der Vorhersagen auf die Übungspraxis ist daher nicht sinnvoll.

2.2 Ökologische Aktionstheorien am Beispiel des Ansatzes zu Perception und Action von GIBSON

Vertreter der ökologischen Aktionstheorien lehnen die Theorien, die zentral gespeicherte Bewegungsrepräsentationen annehmen, ab. Im Unterschied zu Computern, die von außen ständig mit Informationen versorgt werden müssen, sucht sich der Mensch selbst die Informationen in seiner Umwelt, die er zur Steuerung und Regelung seines Bewegungsverhaltens braucht. Diese aktive Auseinandersetzung ermöglicht dem bewegenden Menschen eine Orientierung im Raum, die Planung von Bewegungen und die Abschätzung des dazu notwendigen Aufwandes. GIBSON vertritt die Ansicht, daß auf basaler Ebene eine enge und wechselseitige Kopplung zwischen Wahrnehmung, Denken und Bewegung besteht. Wahrnehmung beeinflußt die Bewegung und Bewegung verändert die Wahrnehmung. Durch die Wahrnehmungsprozesse werden bestimmte Einschränkungen (Constraints) physikalischer oder psychischer Art ermittelt und dann für die Auswahl von möglichen Bewegungsfertigkeiten genutzt. Die Wahrnehmung ist somit ein aktiver Prozeß, in dem bedeutungsvolle Informationen in Beziehung zu den jeweiligen Anforderungen der Situation extrahiert werden (vergl. FIKUS 1993). Spezifiziert bedeutet dies, daß über die visuelle Wahrnehmung Informationen über

- die Angebote und Typik der aktuellen Umweltbedingungen,

- die raum-zeitlichen Relationen zwischen Mensch und Umwelt (z.B. anthropometrische Maße, Entfernungen etc.),

- die beobachteten Fremdbewegungen (z.B. von Mit- und Gegenspielern),

- und über die Eigenschaften des eigenen Bewegungsverhaltens (z.B. statisch, dynamisch etc.) aufgenommen werden (vergl. WOLLNY 1993, 98f).

Betrachten wir diesen Zusammenhang noch einmal an einem Beispiel: Stellen wir uns eine Schlucht vor, über die eine feste Brücke mit einem Geländer gebaut ist. Die Brücke und das Geländer vermitteln eine gewisse Sicherheit, die die Unsicherheit, die durch den Anblick der Schlucht hervorgerufen wird, kompensiert. Anhand von Körpermaßen, wie Körpergröße oder z.B. Schulterbreite, werden wir kalkulieren, ob die Brücke breit genug für uns ist. Wir werden feststellen, ab sich andere Menschen auf der Brücke befinden und werden gleichzeitig unseren Standpunkt vor der Brücke analysieren. Alles in allem wird bei vielen nach diesem vielleicht nicht einmal 100ms dauernden Prozeß die Entscheidung zur Überquerung der Brücke fallen.

Nehmen wir aber die gleiche Schlucht und bauen die Brücke diesmal aus Glas, so wird die Entscheidung vieler Menschen erheblich erschwert. Die Sicht nach unten in die Schlucht vermittelt eher Unsicherheit, obwohl die Brücke rein technisch gesehen vielleicht den gleichen Sicherheitsstandard bietet, wie die Holzbrücke. Die Entscheidung zur Überquerung wird hier erheblich erschwert durch die Wahrnehmung der spezifischen Umweltbedingungen.

Auf den Sport und das motorische Lernen übertragen hieße dies z.B., daß beim Erlernen von gefährlicheren Bewegungsfertigkeiten angstinduzierende Wahrnehmungen so zu verringern sind, daß dem Lernenden keine Ängste entstehen.

Derartige physikalische und psychische Constraints müssen daher bei der Planung von Bewegungsangeboten immer berücksichtigt werden. Dem Lehrenden müssen sie dazu aber zunächst bewußt werden, damit er sie in die Planung einbeziehen kann.

Weitere Aussagen bezüglich der Gestaltung von Lehr-Lern-Prozessen unter Berücksichtigung einer ökologischen Wahrnehmungs- und Bewegungstheorie lassen sich wie folgt machen (vergl. FIKUS 1990, 24):

1. Lehr-Lern-Situationen dürfen nicht nur einseitig bezüglich der motorischen Aspekte betrachtet werden. Eine ganzheitliche Betrachtung ist anzustreben. So sollten Bewegungsanweisungen z.B. nicht nur den Bewegungsvollzug betreffen, sondern sollten auch die Wahrnehmungsaspekte berücksichtigen. So empfiehlt z.B. HEEMSOTH beim Erlernen des Hürdenlaufens den Einsatz von Metaphern. Statt dem Lernenden die Aufgabe zu geben, er solle nach dem Überqueren der Hürde sein Schwungbein möglichst schnell nach unten schlagen, setzt HEEMSOTH die folgende Instruktion ein:

"Nimm Dir vor, einen direkt hinter der Hürde liegenden Luftballon mit aller Wucht zu zertreten!" (1989, 207).

2. Der Bezug zu intrinsischen Rückmeldungen, vielleicht sogar deren Abfrage durch den Lehrenden kann im Lernverlauf zu einer verbesserten Wahrnehmung beim Lernenden führen. Der Lernende sollte daher während des Lernprozesses immer wieder bewußt seine Aufmerksamkeit auf die Wahrnehmung von Eigenbewegungen lenken. Die Wertigkeit von vermehrten Informationen von Beobachtern nimmt mit der zunehmenden Qualität der Eigenbewertung ab.

3. Bewegungsangebote sind so zu gestalten, daß sich Wahrnehmungschemata ausbilden können. Dies kann z.B. in Sportspielen nicht durch das isolierte Üben von Bewegungsfertigkeiten erreicht werden, sondern erst, wenn diese in spielnahen Situationen eingesetzt werden können. Indirekt könnte man hieraus auch eine Forderung zum variablen Üben ableiten.

4. Der Lehrende muß in der Lage sein, sich in den Vorstellungskreis der Lernenden hineindenken zu können. Nur dann ist gewährleistet, daß das, was er vermitteln will, auf den Erfahrungen, Erlebnissen und Gedanken der Schüler beruht.

3. Zusammenfassung

Die hier exemplarisch dargestellten Theorien geben z.T. sehr konkrete z.T. aber auch weniger konkrete Empfehlungen zur Gestaltung von Lehr-Lern-Prozessen. Dabei liegen die Schwerpunkte bei den Aussagen der Schema-Theorie mehr auf der Ebene der Optimierung von Bewegungsfertigkeiten und damit einem produktorientiertem Vorgehen. Dies äußert sich beim Lernenden im Erwerb eines generalisierten Programms und in der Optimierung von Recall- und Recognition-Schema. Allerdings muß angemerkt werden, daß verschiedene Aussage der Schema-Theorie experimentell nicht eindeutig belegt werden können.

Ökologische Ansätze streben eher eine ganzheitliche Betrachtung der Lernsituation an. Sie können aus diesem Grund bisher auch nur z.T. konkretere Empfehlungen bezüglich der Gestaltung von Lehr-Lern-Situationen abgeben. Eine experimentelle Überprüfung dieser Ansätze in dem Umfang, wie sie die Schema-Theorie erfahren hat, steht weitgehend noch aus.

Eine vergleichende Betrachtung beider Ansätze scheint nur dann sinnvoll, wenn es nicht um die Identifikation des allein richtigen Konzeptes geht, sondern, wenn es um die geeigneten Einsatzmöglichkeiten der Theorien geht (vergl. ROTH 1989; WOLLNY 1993). Beide Theorieansätze zeigen wesentliche Aspekte der motorischen Kontrolle und auch des motorischen Lernens auf. "Die Unterschiede in der Inspiration, der Konzeption und der Methodologie sollten dabei gegenseitig akzeptiert und die Wege zu einer (späteren) empirischen Konfrontation offen gehalten werden" (ROTH 1989, 40).

Pädagogisches Handeln kann nur dann theoriegeleitet erfolgen, wenn der Lehrende die Aussagen der verschiedenen Theorien erfahren hat und die damit zusammenhängenden Probleme kennt. Didaktische Entscheidungen können dann begründet gefällt werden. In der universitären Lehre ist demnach die Vermittlung der wesentlichen Theorien des motorischen Lernens von Bedeutung. Dabei darf die Stoffauswahl nicht von der persönlichen Vorlieben des Lehrenden abhängen, sondern nur der wertfreie, breite Überblick über die verschiedenen Theorien, ihre Kernaussagen und ihre Widersprüche bereitet den Studierenden adäquat auf eine spätere Lehrtätigkeit vor.

4. Literatur

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